Teil 1

Sa, 18.05.1996

Es ist 22.30 Uhr. Im Fernsehen singt soeben die irländische Teilnehmerin vom diesjährigen Songcontest. S., mein Bub liegt schon im Bett. Links neben mir liegt R., mein Mann. Rechts neben mir steht eine Dose Chips. Ich knabbere daran herum. An den lieben R. habe ich in letzter Zeit besonders viel zu kiefeln. Darum habe ich mich auch entschlossen alles was mich so beschäftigt auf zuschreiben. Vielleicht verkrafte ich dann den ganzen Alltag und überhaupt mein gesamtes Leben. Meistens suche ich meinen seelischen Ausgleich in der Musik. Da spiel´ ich dann kreuz und quer durch alle Musikrichtungen alles. Je nach Laune. In letzter Zeit ist es immer öfter der Willy Resetarits vulgo „Ostbahn-Kurti“. Warum das so ist, habe ich das erste Mal versucht am 30.04.1996 zu erkunden. Da war ich Nachmittag in Floridsdorf bei der Kirchenbeitragsstelle wegen der Kirchensteuer. Anschließend setzte ich mich ins „Cafe zum 1.Stock“. Dort habe ich nachstehendes aufgeschrieben:

30.04.1996, 14 Uhr

Verteilt auf jeden zweiten Tisch sitzen die Leute im Lokal. Einzeln, zu zweit oder vor mir rechts in der Ecke eine kleine Runde älterer Damen. Aus dem Geplapper entnehme ich, dass dies hier nicht ihr erstes Treffen ist. Zwei Tische weiter sitzt ein junger Bub mit Baseballmütze und löffelt seine Suppe. Ich denke mir, dass er zu Hause momentan niemand hat, der ihn verköstigt. Inzwischen ist er fertig und hat bezahlt. Die Seniorenrunde hat sich bereits auf fünf Damen erhöht. Nebenan sitzen drei junge Mädchen und studieren in ihren Schulsachen. Wahrscheinlich haben sie noch einige Prüfungen bis zum Schulschluss. Neun Wochen trennen die Schüler noch zu den Ferien. Schräg gegenüber klingelt ein Handy. Es sitzen zwei Herren am Tisch. Machen wohl einen Trinkpause; geschäftlich natürlich. Hier waren früher Kellnerinnen beschäftigt. Derzeit kurvt aber ein Herr durchs Lokal. Was mache ich hier? Außer Kaffee trinken und rauchen. Ich warte. Ich warte. In mir ist so eine komische Unruhe. Momentan habe ich das biedere Alltagsleben satt. Ich will raus aus den vielgerühmten vier Wänden in Wohnung und Firma. Am liebsten würde ich wie ein Zigeuner durch die Stadt ziehen, und die ganzen neuen Eindrücke von Menschen und Umgebung in mir aufsaugen. Vielleicht drehen sich meine Gedanken in letzter Zeit sooft um den „Ostbahn-Kurti“ vulgo Willi Resetarits. Aus seinem Wesen und Liedertexten vermittelt er mir irgendwie genau das, was ich momentan so fühle. Gefühle wie ein Teenager, auf der Suche nach Neuem und Abenteuer. Action, würden die Kids von heute sagen. Ich male mir dauernd aus, ihn einmal zu treffen. Irgendwo. Heute Abend wird seine hundertste „ Trost und Rat“ – Sendung aus dem Radio, im Fernsehen ausgestrahlt. Ein Pflichttermin. Natürlich nehme ich das ganze auf Video auf. Wahrscheinlich werde ich mir das Ganze dann hundertmal ansehen und dahin schmelzen. Wie die Teenies bei „Take That“ oder der „Kelly Family“. Einen Plan, ihn zu treffen, habe ich mir auch schon zu Recht gelegt. Ich werde eine Kassette mit Musik und Schmäh in seinem Stil aufnehmen. Dann schicke ich sie ihm. Vielleicht lädt er mich dann ein. Träume! Die Seniorenrunde hat sich verdoppelt. Sie schlürfen ihren Wein und Kaffee und unterhalten sich köstlich. Aus den Lautsprecherboxen klingt die Musik von Radio Wien, wo „er“ immer am Samstag moderiert. Ich sollte nach Hause fahren. Das ist es, ich soll…ich muss…Alles Zwang, auferlegte Zwänge, Verpflichtungen. Momentan fühle ich mich ein bisschen bedrängt von zwei jungen Herren, die gleich am nächsten Tisch sitzen. Der eine komplett in Jeans, längere Haare. Ich habe das Gefühl, der hat ein bisschen zu viel getrunken. Er belehrt gerade einen fremdländischen Mann mit kurzen dunklen Haaren. Recht sauber gekleidet. Er erzählt ihm gerade über die Beziehungen der Ausländer zu Österreichern. Sein bestelltes Bier hat der „Jeansmann“ auch schon bekommen. Außerdem hat er mich gerade um meine letzte Zigarette angeschnorrt. Er klärt ihn, glaube ich gerade, über seine Ansicht über Frauen auf. Der Ausländer ist ein Moslem. Inzwischen hab´ ich mir noch ein Mineral bestellt. Dann geh´ ich. Wahrscheinlich. Mein Sohn wartet. Die Seniorenrunde ist übersiedelt; die Runde hat sich auf elf erhöht. Der kleine Tisch war schon zu eng. Die Ladys bringen den Kellner ganz schön auf Trab. Jetzt hat er ihnen noch einen Tisch dazugestellt. Der Mann in Jeans ist dreißig und hat anscheinend große Probleme mit seiner Familie, die wie er sagt, wohlhabend ist. Der Ausländer hört sich sein Leid sehr geduldig an. Die Torten und Kuchen werden bei der Seniorenrunde aufgetischt. Radio Wien – es ist schon Drei. Gleich!
Frauen, Geld und Alkohol sind das Hauptthema meines Tischnachbarn. Riesenprobleme. Schicksal. Der Ausländer ist ein Taxler. Wahrscheinlich hat der Jeansmann, jemanden zum Ausquatschen gebraucht. Jetzt hat ihn ein menschliches Bedürfnis kurz vom Tisch gelockt. Schon wieder da. Ich glaub´, ich werde jetzt zahlen. Vielleicht rufe ich meinen Sohn an, dass er mich vom Bus abholt. Morgen ist Feiertag, ich muss noch einkaufen. Schon wieder Zwang. Diese Zwänge bringen zwar eine gewisse Sicherheit, aber die Freiheit kommt zu kurz. Diese. Welche Freiheit braucht der Mensch der Mensch um sich frei zu fühlen? Das zu machen, was er will. Wonach er gerade Lust hat. Habe soeben bezahlt. Ich glaube, der Ausländer will schon weg. Er wackelt nervös auf der Bank herum. Wahrscheinlich ist er froh, wenn er den Angeheiterten los ist. Sie gehen. Ich auch, gleich. Peter Cornelius, sind gerade: „Du entschuldige i kenn di“. Sowas wäre zum Beispiel schön. Wenn jemand kommt, und das jetzt sagt. Eine, der Damen packt sich gerade ein Stück Torte in ein Plastiksackerl.

Wie gesagt, das war es, was ich das erste Mal, was ich so fühle und denke, spontan aufgeschrieben habe. Ich habe mir vorgenommen, das jetzt öfter zu tun. Vielleicht komme ich dann, etwas besser zu Recht mit mir und meiner Umwelt. Es ist bereits 01:13 Uhr. Der Songcontest ist längst aus. Die Irin, von der ich anfangs geschrieben habe, hat übrigends gewonnen. Österreich ist Achter geworden. Nundenn, das wars für heute. Das Kind schläft, der Mann liegt schon im Bett, und auch unser lieber Samy, der Kater schlummert auch schon vor sich hin. Nur noch die letzten Aufgaben für heute – Abrechnen – Zähneputzen – Abschminken – Schlafen. Gute Nacht.´

03.08.1996

Heute habe ich mir einen neuen Walkman gekauft. Der Alte hat mehr oder weniger den Geist aufgegeben. Bei meinem Musikverschleiß ist so ein Gerät lebenswichtig. Außerdem kann ich dann im Urlaub Kassetten hören. Auch jetzt um 00:35 Uhr habe ich die Stöpseln in den Ohren. Vorhin habe ich in dem Kasterl neben der Couch ausgemistet und zwei Zettel mit guten Sprüchen gefunden. Diese wollte ich hier fest halten:

Nur in einem Land, wo die geistige Sonne tief steht, werfen Zwerge große Schatten. (Zitat: Karl Kraus)

Mit dem Glauben kommen wir zu Gott. Ohne Glauben kommen wir weiter.

Na gut, das wollte ich nur geschrieben haben. Vielleicht kommt man mit solchen Lebensweisheiten weiter.

Trackback URL:
https://bluesanne.twoday.net/stories/5991401/modTrackback

Du bist

willkommen!

Aktuelle Beiträge

Schuldig!
Ich klage mich in folgenden Punkten an: Ich habe...
Bluesanne - 8. Aug, 04:40
Bluesanne / Die Frau...
http://www.youtube.com/wat ch?v=23pXNeb0mV4
Bluesanne - 14. Sep, 03:09
(Liebes) Brief an einen...
So 18.12.2011 Servus mein … und nun passiert es mir...
Bluesanne - 27. Dez, 23:02
Monetäre Kreativität...
Dieses Schreiben ging heute an "Armutskonferenz" Armutskonferenz...
Bluesanne - 17. Jul, 16:01
Monetäre Kreativität...
Nun, mir ist die Kreativität nicht abhanden gekommen....
Bluesanne - 17. Jul, 15:46

Persönliches an:

bluesanne@chello.at

wen(n)´s interessiert:

...was unter die Haut geht...


Van Morrison, Van Morrison
Magic Time


Willy Deville, Willy Acoustic Trio Deville
The Willy Deville Acoustic Trio Live in Berlin

Willi & Xtra Combo Resetarits
Stubnblues-Live im Argebeisl


John Lee Hooker
Don´T Look Back


Marla Glen
This Is Marla Glen


Rp 5, Wolfgang Puschnig, Willi Resetarits, Roland Guggenbichler, Karl Sayer, Emil Kristof
Almost Blue


Ost, Various, Kurt & die Kombo Ostbahn
Reserviert Fia Zwa



Iron Butterfly
In a Gadda Da Vida



Katya Lel
Dzhaga-dzhaga



Santana, Carlos Santana
Supernatural



Ost/Various, Stefan Nilsson
Wie im Himmel


Vaya Con Dios, Dirk Schoufs
Night Owls

Zufallsbild

Oesterreich

Zahlreiche Besucher und Leser!

Alle Links in Popups öffnen

alle Links auf der aktuellen Seite in einem neuen Fenster öffnen 

Meine Kommentare

Wohl bekomms ;-)
Möge es gut gelingen und gut munden. Wie hoch sind...
steppenhund - 6. Apr, 11:29
Miau! :-))
Miau! :-))
steppenhund - 13. Dez, 02:42
Schöne Weisheit;
"über jedem Himmel gibt es einen Himmel" und Märchen...
steppenhund - 11. Jul, 22:57
Angenehme
Nachtstunden!
steppenhund - 17. Jun, 00:40
Weltsprache...
ist wohl auch Musik! Die Komminikation zwischen Menschen,...
steppenhund - 28. Mai, 02:51

Suche

 

Status

Online seit 7134 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 8. Aug, 04:40

Credits


Dankstelle
EQ - Test
Gedankensplitter
Korrespondenz
Persönliches Lexikon
Visionen aus der Vergangenheit
Warum Webloging
Zutaten zum Glück
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren